Dich zog es wie viele Vorarlberger in die weite Welt nach Wien. Was macht für dich den besonderen Reiz Wiens aus?
Der Charakter einer Weltstadt, die trotzdem überschaubar ist und in der man sich wohlfühlt. Dass Vorarlberger in Wien über ein hervorragendes Image verfügen, während es im „Ländle“ doch immer noch das eine oder andere emotionale Vorurteil gegen den „Wasserkopf“ besteht, zählt zu den Seltsamkeiten Österreichs.
Ein weiterer Interviewpartner der diesjährigen Mehrerauer Grüße, Magnus Brunner, ist auch in der Hauptstadt. Gibt es eine Altmehrerauer Community in Wien?
Magnus und mich hat in der Mehrerau nur ein Jahr getrennt ... Es gibt zwar zahlreiche Alt-Mehrerauer in Wien, aber nicht wirklich eine Community; sofern ich das überblicken kann, bleibt eher jeder Jahrgang unter sich. Das sollte man eigentlich ändern.
Norbert Bischofberger hat es noch ein bisschen weiter, in die neue Welt, in die USA gezogen. Gab es für dich schon ein journalistisches Angebot, dass dich etwa nach Deutschland, in die Schweiz oder die USA hätte bringen können.
Nein, jedenfalls bis jetzt noch nicht.
Seit 2002 bist du bei der Wiener Zeitung tätig, seit 2018 als Chefredakteur. Davor warst du in der Politik aktiv. Was war zu Schulzeiten ein Ziel von dir? Politik oder Medien?
Obschon aus einer politikfernen Familie stammend war ich schon zu Schulzeiten ein Politik-Junkie mit großem Interesse an Geschichte und Philosophie. Allerdings nicht inhaltlich getrieben, mich interessieren das Funktionieren des Systems, der Umgang mit Widersprüchen, das Streben nach Macht.
Hat dich der Deutschunterricht in der Mehrerau auf diese Idee gebracht?
Eher die Fächer und Lehrer und Lehrerinnen in Geschichte, Geografie und Philosophie.
An was kannst du dich aus dem Deutschunterricht aus deiner Schulzeit erinnern?
Dass in der ersten Klasse Volksschule, als praktisch alle nur Einser hatten, ausgerechnet ich in Deutsch einen Vierer bekam, finde ich, jedenfalls im Nachhinein, doch bemerkenswert. Lustenauer können mit der deutschen Schriftsprache eben mitunter Probleme haben. Aus den Mehrerauer-Jahren unvergessen in Sachen Deutsch sind der augenzwinkernde Notenschlüssel von Pater „Bernie“ Bernhard: „Eins ist der liebe Gott, zwei bin ich selbst, drei ist der beste Schüler, vier ‚haste Glück gehabt‘, fünf‚ haste Pech gehabt‘.“ Und dann Frau Professor Andrea Wirthensohn, gebürtige Tirolerin, was nicht zu überhören war, die uns lange in Geschichte und Deutsch unterrichtete: eine hervorragende Pädagogin mit – in Wien würde man sagen - „Schmäh“.
In jüngerer Vergangenheit werden journalistische Formate im Deutschunterricht im Hinblick auf die Zentralmatura immer wichtiger. Dies wird zunehmend kritisch gesehen. Vielfach wird wieder ein breiterer Literaturunterricht mit klassischem Literaturkanon gefordert. Was sagst du dazu und was sollte man als Maturantin und Maturant unbedingt gelesen haben?
Das eine sollte man nicht gegen das andere ausspielen. Den jungen Menschen Medienkompetenz zu vermitteln, kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Ich bin aber überzeugt, dass gute Literatur es eine ungeheure Bereicherung darstellt. Das dürfen nicht nur die Klassiker sein, sondern muss auch Werke bis in die Gegenwart hinein umfassen. Was man gelesen haben muss, kann ich nicht sagen, weil ich kein Literaturexperte bin und auch persönlich vor allem Sachbücher lese, aber Josef Roth, Franz Grillparzer, Karl Kraus halte ich als Österreicher dann doch für unverzichtbar.
Viele Lehrerinnen und Lehrer kennen die Wiener Zeitung besonders von den Stellenausschreibungen. Mit was sollte man die Wiener Zeitung deiner Meinung nach noch mehr assoziieren als mit Lehrerstellen?
Die „Wiener Zeitung“ ist mit dem Gründungsjahr 1703 nicht nur die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt, sondern, das sage ich ganz unbescheiden, eine der besten Qualitätszeitungen dieses Landes.
Du bist ein bekannter und begnadeter Kommentarschreiber. Ist das die journalistische Form, die dir am meisten Freude bereitet?
Danke, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich diesem Urteil wirklich gerecht werde. Was ich tatsächlich glaube, ganz gut zu können, sind Interviews und analytische Texte. Mich interessieren die Zwischentöne, die abweichenden Meinungen, die Differenzierungen.
Der Kommentar ist bei Schülerinnen und Schülern sehr beliebt. Was macht für dich einen guten Kommentar aus?
Die Argumentation einer klaren Meinung, ohne jedoch den Eindruck zu erwecken, dabei handle es sich um die einzige zulässige oder mögliche Position zu einem Thema. Vor allem sollte man nie die Intelligenz seiner Leserinnen und Leser beleidigen.
Von wem liest du gerne Kommentare?
Von jedem, der nicht meine Meinung vertritt. Das Bisschen Journalismus, das ich mir selber denke, schreibe ich mir auch selbst.
Welche Zeitungen/Zeitschriften liest du privat? Digital oder gedruckt?
Economist, Financial Times, Süddeutsche und viele andere mehr.
Einige deutschsprachige Zeitungen wie die Süddeutsche oder Zeit haben mit jetzt.de und ze.tt eine eigene Jugend-Website. Ist das für die Wiener Zeitung auch eine Option für die Zukunft?
Nicht aus heutiger Sicht, dafür fehlen uns die personellen Ressourcen.
Wie würdest du versuchen, Schülerinnen und Schüler der Oberstufe fürs Lesen zu begeistern?
Ich würde ihm gute Bücher empfehlen, die all die Themen, Leidenschaften und Sorgen zum Inhalt haben, die diese Generation bewegen.
Hast du in dieser Zeit gerne gelesen?
Ja.
Dein Vertrag bei der Wiener Zeitung läuft noch bis Ende des Jahres. Kannst du dir vorstellen, noch einmal etwas ganz Anderes, abseits von Politik und Medien, zu machen
Irgendwann gerne, aber ehrlich gesagt nicht jetzt. Es gibt wenig Spannenderes, als die älteste Tageszeitung der Welt für das 21. Jahrhundert gut aufzustellen, weil guter Journalismus gerade in der Ära der Digitalisierung immer wichtiger wird.
Factbox:
Dein Lieblingsfilm:
“The Searchers” von John Ford
Dein Lieblings-Englischsprachige Zeitung/Zeitschrift:
The Economist
Dein Lieblingsreiseziel:
Ländle
Dein Lieblingsbezirk in Wien:
Margareten
Dein Lieblings-Internationale Nachrichtensendung:
Habe ich nicht
Dein Motto:
In allen Lebenslagen: Nicht nach oben kuschen und nach unten treten.
Was ich noch sagen möchte:
Die Welt ist meistens komplizierter als es uns die Lautsprecher glauben machen wollen.
Bregenz, im Juni 2022